Historischer Stadtrundgang durch die Altstadt von Wetter
01 - Startportal und Marktplatz
Unsere Stadt gehört zu den ältesten Stadtgründungen in Hessen, gehen ihre Ursprünge doch auf einen fränkischen Königshof („curtis“) aus dem 8. Jahrhundert zurück. Wetter lag und liegt verkehrsgünstig, nämlich an einer Furt über die Wetschaft, durch die eine bedeutende Handels- und Heerstraße führte, die sog. Wagenstraße, später Weinstraße genannt.
Wie alles begann
In der Zeit Karls des Großen gewann diese Furt große strategische Bedeutung in den sog. Sachsenkriegen, markierte sie doch ein wichtiges Etappenziel innerhalb des Grenzverlaufs zwischen dem fränkischem Reich und den sächsischen Gebieten. Die Franken bauten konsequent ihr oberhessisches Etappengebiet zwischen Lahn und Eder zum Schutz gegen die Sachsen aus, wie z.B. durch die Büraburg bei Fritzlar oder den Christenberg bei Münchhausen.
Das Stift als Zentrum
Maßgeblich bestimmte die Gründung eines Kanonissenstiftes (vgl. Tafel 13) im 11. Jahrhundert die weitere Entwicklung unserer Stadt. Durch die Einkünfte des Stiftes aus umfangreichem Landbesitz hielten Wohlstand und Bildung hier Einzug. Dieser relative Reichtum war Grund dafür, dass um die Regierungshoheit über Wetter zwischen den Landgrafen von Hessen/Thüringen und dem Erzbistum Mainz hart gekämpft wurde. Bis heute sind daher die Hoheitszeichen beider Parteien – das Mainzer Rad und der Hessische Löwe – Teil des Stadtwappens.
Unsere Stadt im Mittelalter
Im Mittelalter und der Frühen Neuzeit wurde Wetter wie viele Städte von Krankheiten und Krieg heimgesucht. 1372 erfolgte eine Zerstörung durch mainzische Truppen im sog. Sternerkrieg. Es gab mehrere Pestgänge im 16. und 17. Jahrhundert, denen unzählige Menschen zum Opfer fielen. 1636 marodierten schwedische und niederhessiche Truppen in der Stadt. Diese Begebenheit ist Hintergrund des fiktiven Theaterstückes „Wetteranus est oder: Das Vogelbärbchen“, das anlässlich des Grenzeganges, unseres alle 7 Jahre stattfindenden Heimatfestes, aufgeführt wird. Die Bevölkerungszahlen sanken dramatisch, Höfe konnten nicht mehr bewirtschaftet werden, Häuser standen leer und verfielen.
Der große Brand
Besonders fatal wirkte sich ein großes Feuer aus, das sich am Ostersamstag, den 31. März 1649 von einer Bäckerei in der Unterstadt ausbreitete. Ihm fielen alle Häuser der Stadt bis auf drei am Marktplatz, die Kirche, die Pfarrhäuser und das Hospital (siehe Tafel 12) zum Opfer. Viele Menschen zogen weg, die Bevölkerungszahl sank. Erst um 1700 hat die Einwohnerzahl Wetters mit ca. 1200 Personen wieder den Stand von 1600 erreicht. Die Bedeutung der Stadt als Handels- und Verwaltungszentrum des Wetschaftsraumes blieb allerdings auch in den folgenden Jahrhunderten erhalten.
Häuser, die verschont blieben
Wir werfen nun einen Blick auf die ältesten noch erhaltenen Gebäude unserer Stadt. Zunächst ist das Rathaus zu nennen, das ursprünglich an diesem Platz 1450 gebaut wurde, aber durch den Brand knapp 200 Jahre später zerstört wurde. An selber Stelle entstand dann 1680 der hier vorfindliche Bau, der bis heute Sitz der Verwaltung unserer Stadt und der zur Stadt gehörenden Dörfer ist.
Auf der linken, gegenüber liegenden Straßenseite sehen Sie die Häuser, die den großen Brand überstanden haben. Es handelt sich um die Häuser Marktplatz 7 / 8 / 9. Nach den noch sichtbaren Bauinschriften sind sie 1525 und 1570 erbaut worden. Besondere Erwähnung muss das Haus Marktplatz 7 finden, das auch das „Pincier-Haus“ genannt wird. In ihm soll der 1556 in Wetter geborene spätere Arzt Johannes Pincier (gest. 1624) gelebt haben. Er war Professor und später Rektor an der Universität in Marburg.
Der Stadtrundgang beginnt
Wenden Sie sich nun der ersten Station zu, indem Sie den Marktplatz mit dem Rathaus im Rücken nach oben verlassen. Der weitere Weg ist mit entsprechenden Tafeln ausgeschildert. Der Weg ist barrierefrei, ein kleines Teilstück bietet eine Umleitung für Rollstuhlfahrer, die ebenfalls extra gekennzeichnet ist.
Auf den Tafeln der einzelnen Stationen finden Sie QR-Codes, die Sie mit einem QR-Scanner Ihres mobilen Endgerätes scannen können. Sie können sich so kleine Spielszenen ansehen, die historische Ereignisse aus Wetters Geschichte aufgreifen.
Für weiterführende Fragen zur Historie unserer Stadt liegen eine Reihe von Spezialuntersuchungen vor:
Boerma, H. U., Nachgefragt. Zehn Beiträge zur Geschichte von Wetter, 2009.
Hetsch W., Historische Orstbeschreibungen 5:
Wetter, Marburg 1963.
Wenckebach, K., Zur Geschichte der Stadt, des Stiftes und der Kirche zu Wetter in Hessen,
2. Aufl. 1987.
Der Geschichtsverein Wetter hat zahlreiche Schriften zur Stadtgeschichte mit unterschiedlichen Schwerpunktthemen herausgegeben.
Die Stadt bietet eine Reihe von Einkehrmöglichkeiten, in denen Sie sich nach Ihrem ca. 70 minütigen Rundgang erholen können. Für weitere Informationen wenden Sie sich bitte an die Stadtverwaltung: 06423 / 82-0
02 - Rentamt, Amtsgericht und Obertor
Unser Rundgang beginnt an den ältesten erhaltenen Gebäuden von Wetter. Das Gebäude gegenüber dieser Tafel (Obertor 3) war das Amtsgebäude des Rentmeisters, die sog. Renterei. Der Rentmeister war der höchste Polizei- und Verwaltungsbeamte im ganzen „Amt Wetter“, dem neben der Kernstadt noch 16 umliegende Dörfer angehörten.
Jede zehnte Garbe!
Auf der gegenüberliegenden Strassenseite stand der sog. „Herrenbau“, der ebenso Teil der städtischen Verwaltung war. Nach noch erhaltenen älteren Bildern handelte es sich um ein großes, dreistöckiges Scheunengebäude das dazu diente, die Abgaben der Bürger aufzunehmen. Steuern wurden nämlich überwiegend in Naturalien bezahlt, wobei die Wetteraner „zehntpflichtig“ waren. Zu Erntezeiten stapelten sie daher immer zehn Getreidegarben zusammen und legten eine elfte obenauf. Diese wurde dann direkt vom Feld von den Gehilfen des Rentmeisters eingesammelt und als Abgabe in den Herrenbau verbracht. Nach Auflösung des Rentamtes im Jahre 1821 wurde auch der Herrenbau abgerissen und machte einem neuen Gebäude Platz, in dem u.a. eine Apotheke untergebracht wurde.
Stadttor und Gefängnis
Direkt neben dem Rentamt stand der Turm des Obertores, eines wichtigen Stadttores von Wetter. Auf der gegenüber liegenden Hauswand können Sie eine bildliche Darstellung dieses Tores sehen. Ende des 18. Jahrhunderts hatte man dort Zellen für Gefangene eingerichtet. Daher hieß es in Wetter immer: „Pass auf, sonst kommst Du aufs Tor!“ Nach dem Abriss des Turmes im Jahre 1845 wurde mit dessen Steinen dieses neue Gebäude als Justizgebäude errichtet (Obertor 4), in dem neben einem Gerichtssaal und Wohnräumen für die Gerichtsdiener und -wärter auch Zellen Platz fanden.
Das Obertor wurde bei einem Beschuss durch mit Preußen verbündete norddeutsche Truppen am Morgen des 27. August 1759, mitten im 7jährigen Krieg, zerstört. Die französichen Belagerungstruppen, die auf der Höhe vor dem Obertor mit Zugriff auf die strategisch wichtige Weinstraße lagerten, wurden geschlagen und vertrieben. Der Volksmund verbindet mit dieser französischen Belagerung die Aufstellung eines Kreuzes ca. 250 m außerhalb Wetters im Steilhang des Warthberges. Es heißt noch heute „Franzosen-Kreuz“. Dort soll am 10. Juni 1759 der 28jährige
Reiteroberst Francois Josephe le Danois, Marquis von Jeoffreville, durch Sturz vom Pferd ums Leben gekommen sein.
03 - Der Pforteturm
Durch die Pforte in die Gärten
Der soeben zurückgelegte Weg folgt soweit möglich der mittelalterlichen Stadtmauer, die Wetter seit dem 14. Jahrhundert umgeben hat (vgl. Tafel 12). Teil dieser Befestigungsanlage waren auch „Warten“, d.h. Türme, von denen aus man die umliegenden Felder, hier die sog. Gucksgärten, gut beobachten und ggf. verteidigen konnte. Wir stehen vor den Resten des Gux- oder Pforteturmes, der Teil dieser Befestigungsanlagen gewesen ist. Wie der Name bereits sagt, gab es hier kein eigentliches Stadttor, das auch befahrbar war, sondern nur eine kleine Pforte in der Stadtmauer, durch die die dahinter liegenden Gärten und Felder erreicht werden konnten.
Mauer und Graben schützen die Stadt
Diese sog. Gucksgärten dienten der Versorgung der Bevölkerung und lagen zwar außerhalb der Stadtmauer, wurden aber durch einen bewässerten Graben, den Wuhlsgraben, geschützt. Dieser Graben war eine künstliche, ringförmige Bewässerungsanlage, die nördlich der Nächstemühle das Wasser der Wetschaft ableitete, rund um die Stadt führte und fast an gleicher Stelle wieder wieder einleitete. Dabei folgte der Graben genau der Herzform der Stadtmauer. Somit waren auch die Gärten in unmittelbarer Nähe zur Stadt einigermaßen geschützt. Im 18. Jahrhundert wurde der Graben wieder rückgebaut und zum Teil verfüllt, so dass ein Weg „Wuhlsgraben“ entstand. Nach Erweiterung der Bebauung heißt diese Straße nun „In den Gucksgärten“.
In der ersten Hälfte des 19. Jahrunderts erfolgte ein Teilabriss des Pforte-Turmes, da er wie auch die zugehörige Guxpforte anderer Bebauung weichen mußte. Der heute Efeu-bewachsene Turm diente noch im 20. Jahrhundert als beliebter Spielplatz für Kinder, bevor er aus Sicherheitsgründen teilverfüllt wurde.
Im Herzen von Wetter
Im Strassenverlauf können Sie durch das die Teerung unterbrechende Kopfsteinpflaster den Verlauf der Stadtmauer vom Turm aus nachvollziehen. Die gesamte Bebauung außerhalb dieses Bereiches ist nicht mittelalterlich, sondern stammt aus dem letzten Jahrhundert, in dem Wetter sehr stark gewachsen ist.
04 - Blick von der Stadtmauer
So sah Wetter aus
Der gepflasterte Weg, den wir soeben beschritten haben, folgt recht genau dem Verlauf der mittelalterlichen Stadtmauer. Nun stehen wir vor einem noch erhaltenen Stück, das nicht wie der Rest der Mauer in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts abgebaut wurde. Von dieser Stelle aus hat man einen schönen Blick auf die Altstadt und bekommt einen Eindruck davon, wie das mittelalterliche Wetter ausgesehen haben kann.
Rund um die Kirche
Über allem thront die Stiftskirche auf dem Klosterberg, die wir später genauer sehen werden. Direkt darunter sieht man das Dach des Rathauses, auf dem sich zwar jetzt eine moderne Sirene befindet, das aber an sich aus dem 17. Jahrhundert stammt. Direkt vor dem Rathaus sieht man die Rückfronten der drei Häuser, die den großen Stadtbrand überstanden haben. Und direkt vor uns befinden sich Wohn- und Geschäftshäuser der Altstadt. Wie man deutlich sehen kann, ist die Stadt gewachsen und wurde nicht nach einem festgelegten Konzept errichtet. Die vielen verschiedenenen Richtungen, in die die Giebel zeigen, lassen erkennen, dass der Platz innerhalb der Mauern knapp war und nach und nach so bebaut worden ist, wie es der Platz zuließ.
Vom Mittelalter bis zur Zeit nach dem Krieg
Die durch den Verlauf der Mauer vorgegebene Ausdehnung hat Wetter im Wesentlichen vom 14. bis zum Ende des 19. Jahrhunderts eingenommen. Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden nach Teilabriss der Stadtmauer zunächst die Gebiete nordwestlich des Mönchtores (vgl. Tafel 5) sowie vom Untertor bis zur Wetschaft bebaut. Vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg ist die Stadt durch Zuzug vieler Flüchtlinge stark gewachsen.
05 - Das Mönchtor
Nachdem wir dem Verlauf der Stadtmauer weiter gefolgt sind, stehen wir nun an den Resten des ehemaligen Mönchtores, eines weiteren Stadttores der mittelalterlichen Stadt Wetter. Wie an den Sandsteinen noch gut erkennbar, war es von beachtlicher Stärke. Die Position des zugehörigen Mönchturmes ist nicht mehr sicher auszumachen, war er doch laut Stadtplan von 1752 bereits abgerissen. Das hier in Resten noch sichtbare Tor ist 1823 abgerissen worden und machte der Erweiterung der Stadt nach Nordosten Platz.
Mönchtor ohne Mönche
Der Name Mönchturm erklärt sich durch den nahe gelegenen Mönchhof oder Hainaer Hof. Dieser schon 1272 urkundlich erwähnte Hof war eine Besitzung des Klosters Haina. In der heutigen Fuhrstraße lassen sich die Ausmaße und Anlage des Hofes noch erkennen: Ein Speiselokal und eine Bäckerei umschließen einen kleinen Hof und zeigen in etwa den architektonischen Aufbau. Allerdings sind die jetzt sichtbaren Gebäude natürlich deutlich jüngeren Datums. Die Laienbrüder des Hainaer Klosters wohnten hier zusammen mit einem Vogt, der die Einnahmen verwaltete. Von hier aus konnten die „Mönche“ die Ländereien des Klosters Haina, die in der Binge jenseits des Tores lagen, bequem erreichen und bewirtschaften.
Die Ausdehung der Stadt über die Grenzen der mittelalterlichen Mauer hinaus hat bis 1869 hier ihren Anfang genommen. Bemerkenswert ist, dass nur ca. 100 m nordwestlich des Mönchtores eine Garten- und Schankwirtschaft errichtet wurde, die von 1833 bis 1853 bestand. Vor allem im Sommer sind die Wetteraner gern den kurzen Weg über die Dörnertsgasse zu dem Lokal spaziert. Die Reste des später verfallenenen Gebäudes machten 1968 einer neuen Bebauung Platz.
06 - Römerplatz und Krämergasse
Wir befinden uns nunmehr auf dem Römerplatz, mitten im Herzen von Wetter. Vor uns liegt die Krämergasse, halbrechts die Hospitalstraße und ganz rechts die Straße An der Stadtmauer. Alle Namen lassen uns tief in die Geschichte unserer Stadt blicken.
In Wetter gab es Zünfte
Schon im Weistum von Wetter (1239), einer Beschreibung der Stadtgrenze und der Stadtrechte Wetters, werden Krämer erwähnt, zusammen mit Bäckern, Kürschnern, Schuhmachern, Metzgern, Gerbern und Schneidern (Artikel 14 des Weistums). Daneben dürfte es auch einen Schankwirt und einen Schmied, sowie vor allem Müller gegeben haben, ohne dass wir Hinweise auf deren Zünfte hätten. Eine Wollweberzunft ist 1388 belegt, später gab es auch Leinweber. Eine Zunft ist ein Zusammenschluss aller Handwerker eines bestimmten Gewerbes in einer Stadt. Die Handwerker mußten der Stadt nicht unerhebliche Zahlungen leisten, um das Privileg einer Zunftgründung zu erkaufen. Umgekehrt mussten alle Handwerker oder Gewerbetreibende, die in einer Stadt arbeiten wollten, gegen Zahlung Aufnahme in einer Zunft finden. Die in der Zunft organisierten Handwerker konnten somit festlegen, wer in der Stadt das Handwerk ausüben durfte, wer Meister werden konnte und wie die Ausbildung neuer Handwerker zu erfolgen hatte.
Strenge Aufsicht über das Handwerk
Die Zunft- oder Innungsmeister regelten die Ausbildung vom Lehrling bis zum Meister mit dem Ziel, die jeweils in der Stadt tätigen Handwerker eines Gewerbes zu beschränken und die Qualität der Arbeit zu sichern. Die Zunftmeister durften die Lehrlings-, Gesellen- und Meisterbriefe ausstellen und führten dazu eigene Siegel. Erhalten sind die Siegel der Schuhmacherzunft (mit Gerbern und Sattlern) und der Metzgerzunft aus dem 18. Jahrhundert, sowie das der Schneider aus dem 17. Jahrhundert. Das älteste erhaltene und zudem besonders fein gearbeitete Siegel ist das der Bäcker von 1579, das zwei Brezeln und den „Wetterschen Weck“ zeigt, ein ortstypisches Backwerk, das zum großen Heimatfest, dem „Grenzegang“ den Wetteraner Schülern geschenkt wurde.
Waren „die Römer“ in Wetter?
Anders als der Name vermuten lassen würde, spiegelt der „Römerplatz“ nicht die antike Zeit wider, sondern eher die Interessen und Vorstellungen des 19. Jahrhunderts. Man verspürte damals an vielen Orten das Bedürfnis, die eigene Bedeutung dadurch zu unterstreichen, dass man seine eigene Geschichte möglichst weit in die Vergangenheit zurück verfolgen konnte. Besonders beliebt war natürlich, wenn die Heimat Teil der „großen Geschichte“ gewesen war. So hielt sich lang die Legende, Wetter sei bereits in der römischen Antike Schauplatz geschichtsträchtiger Ereignisse gewesen: Während der augustäischen Germanenkriege habe der Statthalter und spätere Prätor Drusus mit einem stattlichen Heer an der Wetschaftsfurt ein Lager aufgeschlagen und dazu den Weg durch das spätere Wetter gewählt. Die historische Ortsbeschreibung des Johann Jakob Plitt aus dem 18. Jahrhundert nennt diese Legende bereits, bringt sie aber mit einer Kaiserstraße jenseits der Wetschaft in Verbindung, die es in Wetter nicht (mehr) gibt. Sie führte wohl über den Galgenberg zum Christenberg. Offenbar war man im 19. Jahrhundert so angetan von der Vorstellung, von der Geschichte „gestreift“ worden zu sein, dass man diesen Platz den Römern widmete. Tatsächlich dürfte eher eine hier ansässige Familie Römer Pate für den Namen gestanden haben.
Die Hospitalstraße erinnert nun aber an eine „echte“ und wesentliche mittelalterliche Institution, die vom Stift (vgl. Tafel 13) ausging. Ein Hauptteil der Aufgaben der Stiftsdamen in Zeiten ohne medizinische und soziale Absicherung der Bevölkerung bestand in der Armenfürsorge. Daher wurde vom Stift mindestens ein Hospital auf dem Klosterberg (vgl. Tafel 14) und ein größeres in der Altstadt unterhalten. Akten aus der Reformationszeit weisen erhebliche Beträge für die Armenfürsorge aus, die auch aus privaten Zuwendungen und Stiftungen stammten. Unter dem Hospital hat man sich ein Gebäude vorzustellen, in dem unter einem Dach Kranke und Sieche behandelt wurden, Arme Speisen erhielten und Reisende Aufnahme fanden. Der genaue Ort dieses Hospitals in der Altstadt ist nicht mehr mit letzter Sicherheit auszumachen, wahrscheinlich befand es sich aber in der heutigen Ziegengasse, hat man doch deren Namen im Volksmund von Siechengasse ableiten wollen, der Straße, die jetzt An der Stadtmauer heißt.
07 - Der alte Gausmanns Brunnen
Wie das Trinkwasser in die Stadt kam
Wir stehen nunmehr vor einem der einst zahlreichen Brunnen in der Altstadt. Bis 1906 war Wetter nicht an eine zentrale Wasserversorgung angeschlossen. Daher waren die Bürger darauf angewiesen, sich alles Trink- und Brauchwasser aus Brunnen zu schöpfen und mühevoll in die Häuser zu schaffen. Allerdings ist der Bau und die Instandhaltung von Brunnen ein sehr kostspieliges Unterfangen für die Stadt, so dass in der Ortsbeschreibung von J. J. Plitt aus dem Jahre 1769 vermerkt wird: „An Brunnen in der Stadt ist Mangel.“ Nicht zuletzt wegen der schlechten Wasserversorung dürfte daher der Stadtbrand von 1649 so verheerend ausgefallen sein.
Brunnen seit dem Mittelalter
Einer der ältesten archäologisch nachweisbaren Brunnen befindet sich auf dem Gelände des Stiftes (Tafel 13). Aber auch der Brunnen hier ist von nicht unerheblichem Alter. Aus dem Jahre 1591 hat sich eine Rechnung erhalten, die belegt, dass an diesem Brunnen umfangreiche Sanierungsmaßnahmen durchgeführt wurden. Damals hatte er noch den Namen Johannesbrunnen. Die Rechnung belegt auch noch Arbeiten an einem Marktbrunnen, der zentral auf dem Marktplatz stand, sowie einem Herrgottsbrunnen außerhalb der Stadtmauer. Daneben hat es noch eine ganze Reihe weiterer Brunnen gegeben, zum Beispiel der ebenfalls in der Ortsbeschreibung von Plitt auftretende Brunnen im Wasserloch (jetzt: An der Stadtmauer) in der Nähe des Brauhauses.
Ein Privatmann sorgt für Wasser
Dieser ehemalige Johannesbrunnen hat in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts einen anderen Namen bekommen, was einer bemerkenswerten privaten Initiative zu verdanken ist. Im Jahre 1835 schrieb eine Gruppe Wetteraner Bürger unter der Leitung des Kaufmanns Adam Gausmann an die Stadt mit der Bitte, den alten Johannesbrunnen auf eigene Kosten wieder in Stand zu setzen. Daraufhin wurde eine Leitung von der Quelle in der Bleiche, eine Wiese außerhalb der Stadtmauer, über private Grundstücke und unter der Stadtmauer hindurch in die Fuhrstraße verlegt und an die hier am Platz vorhandene Brunnenanlage des Johannesbrunnens angeschlossen. Seit dieser Zeit trug der Brunnen den Namen „Alter Gausmanns Brunnen“ nach dem Geldgeber für die neue Zuleitung.
Der alte Brunnen wird wieder aufgebaut
Nach Anschluss an die zentrale Wasserversorgung wurde der Brunnen trocken gelegt und schließlich ganz abgebaut. Dass heute wieder ein Brunnen an dieser Stelle steht, geht erneut auf private Initiative zurück. Der Ururenkel von Adam Gaußmann hat angeregt, den Brunnen im Zuge der Altstadtsanierung nach alten Unterlagen wieder an derselben Stelle aufzubauen und auch die Kosten dafür in wesentlichen Teilen übernommen. So fließt seit dem 23. August 2002 wieder Wasser am Römerplatz und bereichert das Stadtbild.
Die Bronzefigur auf dem Brunnenstock ist indes eine Neuerung gegenüber dem alten Brunnen. Sie wurde vom Bildhauer Rudolf Trautmann geschaffen und ist einer Abbildung im Buch „Philosophia reformata“ des bedeutenden Alchimisten Johann Daniel Mylius (Müller) nachempfunden. Mylius ist 1585 in Wetter geboren und führte u.a. im Auftrag des Landgrafen Moritz in Kassel alchemistische Experimente durch. Die symbolisch zu deutende Figur zeigt das Ziel aller alchemistischer Bemühungen: den Stein der Weisen, der im Glas in der linken Hand der Figur angedeutet ist.
08 - Die ehemalige Synagoge
Juden gab es seit dem Mittelalter
Seit dem 14. Jahrhundert sind Juden in Wetter ansässig gewesen, haben hier mit und unter den christlichen Wetteranern gewohnt und sind ihrer Arbeit nachgegangen. Vom Mittelalter bis zum frühen 19. Jahrhundert handelte es sich dabei vornehmlich um sogenannte Schutzjuden, das heißt Juden, die gegen Zahlung von der Obrigkeit einen meist jährlich zu erneuernden Schutzbrief erhielten, der es ihnen erlaubte, hier zu wohnen und einem Gewerbe nachzugehen. Ähnlich mußten Handwerker in der mittelalterlichen Gesellschaft zum Teil nicht unerhebliche finanzielle Mittel aufwenden, um Mitglied einer Zunft zu werden und ihr Gewerbe auszuführen. Dieser Weg war Juden aber versperrt. Aus dem 17. Jahrundert sind einige Urkunden erhalten, die Auseinandersetzungen zwischen Zunftmitgliedern und Juden belegen.
Eine besondere Architektur
Das Gebäude ist im Fachwerk-Stil einer typischen Landsynagoge errichtet. Herausragendes Element ist der achteckige Dachreiter: An keinem weiteren Gebäude in Wetter findet sich diese architektonische Besonderheit. Aus Berichten wissen wir, dass das Lesepult für den Gottesdienst im Inneren, die Bima, ebenfalls achteckig gewesen ist. Die Fenster waren in grünlichem Glas gehalten, der Innenraum war mit Rosetten in korrespondierendem Grün bemalt. Ein Teil der Bemalung hat sich erhalten. Oberhalb des Einganges war ein Rundfenster vorgesehen. Heute sieht man es nicht mehr, aber im Inneren ist nach der Sanierung ein Rundfenster in Buntglas angebracht.
Verwüstung und Deportation
Jeden Freitag gingen die Wetteraner Juden hier zum Gottesdienst, aber das war nur einer Generation möglich. Am 10. November 1938 wurde dieses Haus im Schutz der Dunkelheit von Männern gestürmt, der Tora-Schrein zerstört, die Fenster eingeworfen und das Mobiliar zertrümmert. Bis 1942 flohen alle jüdischen Mitbürger aus Wetter oder wurden in die Konzentrationslager deportiert. Das Haus wurde zwangsversteigert und diente bis zum Jahr 2000 als Schuppen für landwirtschaftliche Geräte.
Neuanfang
Die Stadt Wetter konnte das Gebäude im Jahr 2000 kaufen und im Rahmen der Altstadtsanierung von Grund auf sanieren. Seit 2005 bietet ein gemeinnütziger Trägerverein regelmäßig kulturelle Veranstaltungen hier an. So wird das Haus zwar nicht mehr in seinem ursprünglichen Sinne genutzt, aber mit neuem Leben erfüllt. Schulklassen können sich hier über die Geschichte vor Ort informieren und Menschen kommen zusammen, um Vorträgen oder Konzerten beizuwohnen.
09 - Das ehemalige Brauhaus
Das Recht, Bier zu brauen, stellte im Mittelalter ein sehr großes Privileg dar, das entweder der jeweilige Landesherr für größere Brauereien erteilte, oder die jeweilige Stadt für das Brauen in ihren Mauern. Wetter nahm insofern eine gewisse Zwischenposition ein, als die Brauer von Wetter ein Monopol für das gesamte Amt Wetter inne hatten. Das bedeutet, dass außer in Wetter nirgendwo sonst in der Umgebung Bier gebraut werden durfte.
Eigentümlich für dieses mittelalterliche Recht ist, dass die Erlaubnis zum Brauen nicht an eine Person, sondern an ein Gebäude oder Grundstück, den sogenannten Bierhof, gebunden war. Dieses Gebäude bzw. Grundstück hatte daher einen sehr hohen Wert und garantierte hohe Einnahmen.
10 - Die ehemalige Peterskirche (Frühmesskirche)
Wir stehen hier am Fuß des Klosterberges vor den Mauer-resten einer frühmittelalterlichen Kapelle, die dem Stift von Wetter (Tafel 13) zugeordnet war. Ihr Namensgeber war der Apostelfürst Petrus. Nach dem Matthäusevangelium Kapitel 16 Vers 18 wollte nämlich Jesus auf Petrus, übersetzt „der Fels“, seine Kirche bauen. Seit Bonifatius hat man daher neben der Weihung der Hauptkirche auf Maria (vgl. Tafel 15) den Brauch gepflegt, weitere Kapellen oder kleinere Kirchen nach dem Apostelfürsten Petrus und seinem Bruder Andreas zu benennen. So auch in Wetter: Neben dieser Peterskirche gab es als Hauskapelle der Stiftsdamen eine Andreaskapelle. Zusätzlich hat es wohl noch eine Nikolauskapelle neben dem Hospital (vgl. Tafel 5) gegeben, die aber zusammen mit ihm im großen Brand von Wetter 1649 vernichtet wurde.
Kapellen spielten eine große Rolle im religiösen Leben des Mittelalters, wurden doch in ihnen die täglichen Messen gelesen. Zudem konnten hier spezielle Messen für das Seelenheil von Verstorbenen bestellt werden. Die gegenüber der Hauptkirche kleineren Kapellen konnten im Winter beheizt werden und boten so für die bis zu sieben Messen am Tag eine etwas angenehmere Umgebung.
Eine Kapelle für den ersten Gottesdienst des Tages
Die Peterskirche war nun der spezielle Ort, an dem täglich vor Aufgang der Sonne die erste, die Frühmesse, gelesen wurde. Dies taten zunächst die Stiftsherren, die für die gottesdienstliche Versorgung des Stiftes zuständig waren. Dann wurden sog. „Frühmeßner“ bestellt, die diese Aufgabe übernahmen. Für ihren Dienst erhielten sie eine bestimmte Besoldung. Vornehmlich wurde die Kapelle durch die Erträge aus dem sog. „Frühmeßhof“ in Treisbach finanziert. Aber es gab auch Zustiftungen von Wetteraner Bürgern und Adligen. Eine Urkunde belegt für den 30. September 1351 eine solche Stiftung einer Frühmesse. Weitere Belege zeigen für die Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert – also kurz vor der Auflösung des Stiftes in den Zeiten der Reformation - zwei reguläre, d.h. aus den Mitteln des Stiftes bezahlte Frühmeßner sowie einen durch eine private Stiftung („beneficium“) bezahlte dritte Stelle.
Nach der Reformation wurde die Kapelle funktionslos und diente zwischenzeitlich als Stadtweinkeller. Sie ist im großen Brand von Wetter 1649 in Mitleidenschaft gezogen worden und wurde schließlich 1752 und 1783 bis auf die hier noch vorhandenen Mauerreste abgerissen, die man stehen ließ, wohl um den Klosterberg zu stützen.
11 - Der Diebsturm
Schutz für die Stadt
Wir stehen vor einer weiteren „Warte“ der ehemaligen Stadtbefestigung, die die Stadt nach Osten absichern sollte. Neben den großen verbauten Steinen hat wohl ein besonders fester Mörtel dazu beigetragen, dass der Turm noch erhalten ist. So stellt es jedenfalls ein Baugutachten zu Beginn des 20. Jahrhunderts fest.
Schon wesentlich früher ist über die Standfestigkeit dieses Turmes gesprochen worden. Der 1727 in Wetter geborene Pfarrer, Theologieprofessor und spätere Hauptprediger an der Barfüßerkirche, später bekannt als Paulskirche in Frankfurt Johann Jakob Plitt hat in seinem Buch „Nachrichten aus der Oberhessischen Stadt Wetter“ von 1769 bereits beobachtet, dass von den fünf Türmen der Stadtbefestigung zu seiner Zeit „jetzo nur noch einer im Stande [ist], worinnen das Gefängnis ist“.
Das Gefängnis für die Wetteraner
In der Tat haben in diesem Turm Übeltäter ihre Strafe abgebüßt, was ihm wohl auch seinen populären Namen „Diebsturm“ eingebracht hat. Allerdings saßen
Anfang des 19. Jahrunderts hier nur Wetteraner Bürger, die für kleinere Vergehen wie zum Beispiel einen Gänsediebstahl bestraft wurden. Das Obertor (vgl. Tafel 2) war für schwerere Straftaten und Bürger aus den umliegenden Dörfern vorgesehen.
Der Turm verfällt
Im Laufe der Zeit wurde der Turm von seiten der Stadt zwar immer instand gehalten, aber nicht grundlegend saniert. Schließlich wurde er als Wohnraum für Obdachlose genutzt und später als Lagerraum an Bürger der Stadt verpachtet. Als das Dach Ende des 19. Jahrhunderts schließlich undicht wurde, riss man es ab, so dass der Turm nun auch im Innern der Witterung ausgesetzt war. Ein Riss entstand, den man nur notdürftig zumauerte. Mehrere Versuche, mit Hilfe von Zuschüssen die notwendigen Sanierungsarbeiten zu finanzieren, scheiterten.
Zum ersten Mal Strom
Als zu Beginn des 1. Weltkrieges die Brennstoffe knapp wurden, ergriff man die Chance, in den Turm ein Transformatorenhaus zu integrieren, um Wetter an die elektrische Überlandleitung anzuschließen. Die erforderlichen Umbau- und Sanierungsarbeiten wurden rasch zum Abschluss gebracht, so dass am 22. Dezember 1916 zum ersten Mal ein elektrisches Licht im Rathaus brannte. Das Ereignis wurde aufgrund der Kriegszeiten in bescheidenem Rahmen im Rathaus mit einem Fass Bier und 15 Zigarren gefeiert. Zwar wurde der Turm durch Nutzung als Transformatorenhaus vor dem sicheren Verfall bewahrt, der ursprüngliche Zustand war aber nicht sicher wieder hergestellt.
Zerstörung und Wiederaufbau
In den letzten Tagen des 2. Weltkrieges brannte der Turm schließlich komplett aus, die Ursache war wahrscheinlich ein technischer Defekt. Nicht der Turm selbst, aber das angrenzende Gebäude, ursprünglich als Toilettenhaus für die Schule (vgl. Tafel 14) genutzt, wurde von unterschiedlichen Gruppen bis in neueste Zeit genutzt. Im Jahre 2009 schließlich wurde nach umfangreichen Gutachten der Turm in den jetzigen Zustand gebracht. Neben einer grundlegenden Sanierung ist vor allem der Turmhelm mit seinen kleinen Turmgauben wiederhergestellt worden. Orientiert ist die Wiederherstellung an dem Befund von 1916, der sich seinerseits auf ältere bildliche Darstellungen berufen kann.
12 - Die Stadtmauer und der alte Friedhof
Wir laufen entlang einem weiteren erhaltenen Stück der mittelalterlichen Stadtmauer. Die Mauer umschloß, dem natürlichen Verlauf des Geländes folgend, den Klosterberg und die Altstadt in Form eines Herzes.
Wenig Schutz
Wetter hat bereits im 13. Jahrhundert Stadtrechte erhalten, war aber nicht sofort auch durch eine massive Mauer vor Überfällen geschützt. Dies änderte sich erst später. Wetter war noch im sog. Sternerkrieg (1372-74) eine
„offene Stadt“, das bedeutet, dass noch keine Mauer gebaut war.
Da es allerdings Berichte gibt, die Mauer sei in einer Fehde 1420 schon durchbrochen worden, wird sie Ende des 14. Jahrhunderts gebaut worden sein. Wahrscheinlich unter der Mitwirkung von Äbtissin Hildegard von Elle beschloß der Rat der Stadt, den Bau einer Mauer in Angriff zu nehmen. Bis zu diesem Zeitpunkt war die Stadt nur durch Erdwälle und Palisaden sowie einen
Wassergraben geschützt.
Die Mauer ist nicht undurchdringlich
Zwar bedeutet eine Mauer größeren Schutz, die Abtrennung der Stadt durfte allerdings nicht den Verkehr und damit den Handel behindern. Daher wurden eine Reihe von Durchgängen an den wichtigen Verkehrslinien der Stadt mitgeplant. Eine Urkunde von 1301 erwähnt bereits das „Rospher Tor“, das spätere Untertor. Sodass die Stadt in Nord-Süd-Richtung durch das Unter- und Obertor durchschritten werden konnte. In westlicher Richtung konnte sie durch das Mönchtor (erstmals 1528 erwähnt, vgl. Tafel 5) Richtung Todenhausen verlassen werden. Die Äcker und Felder in südwestlicher Richtung erreichte man durch die Gux-Pforte. Auch den Bereich des Kanonissenstiftes wird man durch eine Stiftspforte betreten haben können. Wir haben uns unter diesen Toren Holzkonstruktionen vorzustellen, die man bei Bedarf auch verschließen konnte.
Blick auf den Alten Friedhof
Dieses Teilstück der alten Stadtmauer ist nicht durch ein Tor durchbrochen, sondern der Durchgang gibt den Blick frei auf den sogenannten Alten Friedhof. Eine historische Katasterkarte von 1752 zeigt den Friedhof, dort als „Todenhof“ eingezeichnet, in direktem Anschluss in nordwestlicher Ausrichtung an die Stiftskirche. Der Alte Friedhof an dieser Stelle wurde wesentich später angelegt. Ein Begräbnis außerhalb der Stadmauer war erst für Menschen der Neuzeit akzeptabel. Aus Platzgründen wurde oberhalb der von hier aus zu sehenden Straße (Auf dem Stücke) ein Friedhof angelegt, der bis heute in Benutzung ist.
13 - Das Kanonissenstift
Die Entwicklung der Stadt Wetter wäre ohne die Gründung des Kanonissenstiftes sicherlich ganz anders verlaufen. Dieses Stift war ein Ort des gemeinschaftlichen Zusammenlebens für adlige Damen und unterstand ähnlich wie ein Kloster einer Äbtissin. Allerdings konnten die Kanonissen, deren Familien für ihren Eintritt in das Stift eine ansehnliche Summe bezahlen mußten, das Stift, etwa zur Heirat, auch wieder verlassen.
Die Anfänge liegen im Dunkel der Geschichte
Im 16. Jahrhundert wird in der Weltbeschreibung des aus Wetter stammenden Pfarrers Johannes Rhau zum ersten Mal erwähnt, dass zwei schottische Prinzessinnen mit Namen Almudis und Digmudis in Wetter ein Kanonissenstift gegründet hätten. Das Gründungsjahr wird mit 1015 angegeben. Außer dieser 500 Jahre jüngeren Notiz haben wir leider keine Urkunde über die Gründung, allerdings legen u.a. archäologische Ausgrabungen nahe, dass tatsächlich im 11./12. Jahrhundert hier an dieser Stelle Baumaßnahmen stattgefunden haben, bei der die Häuser für das Stift entstanden sein könnten. Die Grundrisse der aus dieser Zeit stammenden Gebäude können Sie an der sich abhebenden Pflasterung im Hof nachvollziehen. Die im hinteren Teil neben der Kirche noch sichtbaren Mauerreste gehörten ebenfalls zum Stiftsgelände.
Dank des Stifts wird Wetter zur Stadt
Das Stift besaß sehr viele Ländereien, woraus es seine Einkünfte erhielt. Ein Verzeichnis aus dem 13. Jahrhundert nennt knapp 100 Höfe, die dem Stift gehörten und Abgaben an das Stift zu leisten hatten. Die amtierende Äbtissin, die meist dem Hochadel entstammte, war nicht zuletzt aufgrund dieser reichen Einkünfte nominell die Stadtherrin. Im Jahre 1239 werden im sogenannten „Weistum von Wetter“ erstmals die Grenzen Wetters verzeichnet, Wetter erhält Stadtrechte und das Privileg, eigene Münzen prägen zu dürfen. Dies unterstreicht die wirtschaftliche und politische Macht von Stift und Stadt.
„… so wird die Stadt fürderhin zwei Herren dienen“
Damit stellte das Stift einen immensen Wirtschaftsfaktor dar, der auch für die politisch handelnden Größen, damals die Erzbischöfe von Mainz und die Landgrafen von Hessen/Thüringen, von großem Interesse war. Beide Seiten stritten um die Rechte im Gebiet von Wetter. Äbtissin Lutrudis ließ im Jahre 1247 eine Urkunde anfertigen, in der sie die aus ihrer Sicht geltenden Besitzverhältnisse festhielt. Allerdings ergriff die große Politik selbst die Initiative: Erzbischof Werner von Eppstein und Landgräfin Sophie von Brabant, die Tochter der Heiligen Elisabeth, schlossen am 10. September 1263 auf freiem Feld bei Langsdorf in der Nähe von Gießen einen Vertrag: Darin wurde genau festgehalten, welchen Anteil jeder an den reichen Einkünften aus Wetter haben würde. Die Stadt gehörte nicht mehr nur zu einer der Seiten, sondern mußte zwei Herren dienen.
Die Auflösung im Zeitalter der Reformation
Nach Einführung der Reformation in Hessen wurden alle Stifte aufgelöst. Dies geschah in Wetter im Sommer 1528. In einer Urkunde vom 01. August werden alle rechtlichen Änderungen genau festgehalten. Die letzte Äbtissin Gertud Döring erhält zusammen mit ihren noch verbliebenen Schwestern jeweils eine hohe Abfindung und nimmt eine Wohnung in der Stadt, außerhalb des Stiftsgeländes. Die Ländereien gehen an die Ritterschaft, d.h. den deutschen Adel über. Das Stift verlor seine über Jahrhunderte dauernde Stellung als das geistliche, wirtschaftliche und politische Zentrum der Stadt.
Die bleibende Bedeutung
Allerdings zeigten sich auch nach der Auflösung noch zahlreiche Spuren des Einflusses. Die Kirche heißt bis heute Stiftskirche und gibt so im Namen einen Hinweis auf ihre urspüngliche Herkunft. Sie steht auf dem Klosterberg, was ebenfalls auf den Ort des mittelalterlichen Stiftes hinweist. Nicht zu unterschätzen ist die Bedeutung des Stiftes als Ort der Bildung, was auch nach seiner Auflösung weitergeführt wurde. Die aus der alten Lateinschule entstandene „Academiola Wetterana“ hat viele Gelehrte hervorgebracht (vgl. Tafel 14). Nicht zuletzt gibt es auf diesem Klosterberg bis heute noch einige Gebäude, die für sozial schwächere Mitbürgerinnen und Mitbürger offen stehen. Sie werden verwaltet von einer sogenannten Hospitalstiftung, die ihren Ursprung auf die mildtätige Arbeit der Kanonissen des Stiftes zurückführen kann.
14 - Der Klosterberg und die alte Schule
Der Klosterberg ist der älteste besiedelte Teil der Stadt Wetter. Das heutige Ensemble weist allerdings keine mittelalterlichen Gebäude mehr auf.
Die Hospitalstiftung
Das Haus mit der Nummer 13 repräsentiert allerdings eine Einrichtung, die ihre Wurzeln in der Zeit der Stiftsgründung hat und auf das 16. Jahrhundert zurückgeht. Seit der Gründung des Stifts fühlten sich nämlich die Kanonissen der Armenfürsorge verpflichtet. In der Altstadt unterhielten sie daher ein Haus für Arme und Sieche. Landgraf Philipp hat dann im Jahre 1536 finanzielle Mittel, die noch dem Stift zustanden, in eine Armenkasse in Wetter überführt, die für die Armen- und Krankenfürsorge vorgesehen war. Seit dieser Zeit besteht die sogenannte Hospitalstiftung. Das Haus Nummer 13 zusammen mit dem Haus neben dem Pfarrhaus und dem Haus bei Tafel 13 im Innenhof des Gemeindehauses gehört dieser auch heute dazu. Die unter der Leitung der beiden Pfarrer und des Bürgermeisters arbeitende gemeinnützige Stiftung bietet günstigen Wohnraum für sozial schwächer gestellte Personen an.
Die Alte Schule
Am Kopf des Platzes steht die Alte Schule. Das Gebäude selbst stammt von Anfang des 20. Jahrhunderts und wurde am 04. Januar 1906 feierlich eingeweiht. Die letzten Schüler verließen dieses Gebäude im Jahre 1984. Seitdem wird es vom Theaterverein Wetter als Proben- und Fundusraum genutzt und bietet dem Geschichtsverein Wetter den Platz für seine Treffen. Vor allem ist hier das Stadtarchiv Wetter untergebracht, das viele wertvolle Archivalien aus der Geschichte der Stadt für die Nachwelt aufbewahrt. Ein Besuch und die Benutzung des Archives ist zur Zeit dienstags von 14 bis 18 Uhr möglich.
Bildung in Wetter hat eine lange Geschichte
Auch wenn das Gebäude relativ jung ist: Wetter war und ist eine Stadt der Bildung, was wiederum mit dem Stift zu tun hat. Die jungen Mädchen aus adligem Hause erhielten von der Scholasterin, einer für den Unterricht vorgesehene Kanonisse, Unterweisung in Latein, Gesang, Bibelkunde und kirchlicher Ordnung, damit sie bei einem Eintritt in das Stift entsprechend vorbereitet waren. Adlige Jungen erhielten Lateinunterricht von einem Scholaster, der sie auf die höheren Schulen und Universitäten vorbereitete. Derlei gebildete Leute fanden überregional Einsatz: So wurde 1266 der Scholaster Conrad zu Beurkundungen in einem anderen Stift gerufen.
Ab dem 15. Jahrhundert nehmen auch mehr und mehr Söhne aus bürgerlichem Haus die Möglichkeit war, die lateinische Sprache zu erlernen. Durch Beherrschen dieser wissenschaftlichen Umgangssprache des gesamten Abendlandes standen ihnen so auch höchste Ämter auf europäischer Ebene offen. Viele Universitäten in Deutschland, aber auch etwa in Paris, Genf, Venedig und Rom weisen in ihren Matrikellisten Namen von Personen auf, die in Wetter ihre akademischen Grundlagen erworben haben. Der Zusatz „Wetteranus est“ – Er ist ein Wetteraner – galt lange als Ausweis ausgezeichneter Bildung.
Berühmte Absolventen der Academiola Wetterana
Vor allem nach Auflösung des Stifts und im Zeitalter des Humanismus kamen viele berühmte Gelehrte aus Wetter. Erster Rektor der Stadtschule war Johannes Foenilius, der von 1514 bis 1550, und das heißt auch über die Zeit der Auflösung des Stiftes hinweg, der Schule vorstand. Ihm folgte der berühmte Gelehrte Justus Vulteius (1529-1577).
Viele Studenten der neu gegründeten Universität in Marburg kamen zu ihm nach Wetter, um bei ihm Sprachen zu lernen. Wetter entwickelte sich unter seiner Leitung zwischen 1550 und 1560 zu einer kleinen Universität, der Academiola Wetterana. In der Plitt-Chronik der Stadt Wetter wird rückblickend auf diese Zeit festgehalten, dass bärtige Männer zusammen mit jungen Knaben in Wetter die Schulbank gedrückt hätten. Er wurde als Professor nach Marburg berufen und bekleidete dort ab 1572 den ersten Lehrstuhl für Hebraistik. Der Mediziner Euricius Cordus (1486-1535) und der Gelehrte und Alchimist Johannes Dryander (1500-1560) entstammen ebenfalls dieser Einrichtung.
Der Frankfurter Pfarrer Johann Jacob Plitt (1727-1773) selber blieb seiner Vaterstadt, in der er seine ersten akademischen Schritte gemacht hatte, zeitlebens verbunden. Als Prediger hörte ihn niemand Geringeres als der junge Johann Wolfgang Goethe. Plitt hat die zu seiner Zeit vorliegenden Chroniken und Berichte gesammelt, geordnet und schließlich als Chronik der Stadt Wetter veröffentlicht. Er hat somit maßgeblich dazu beigetragen, dass die Geschichte der Stadt Wetter nachvollziehbar bleibt.
15 - Die Stiftskirche
Die Stiftskirche prägt das Stadtbild
Jedem, der sich der Stadt Wetter nähert, fällt als erstes die Stiftskirche und ihr Turm ins Auge. Diese Kirche wurde auf dem Platz eines romanischen Vorgängerbaus im 13. Jahrhundert errichtet. In vier Bauabschnitten zwischen 1240 und 1280 wurden zunächst der Ostchor, dann das Querschiff und schließlich drei und nochmals zwei Langhausjoche vollendet. Ursprünglich waren wohl auch zwei Türme vorgesehen, wie man aufgrund der deutlich stärker ausgeführten Pfeiler der westlichen Joche schließen kann. Sie wurden aber – wohl aus Kostengründen- nie errichtet. Erst zu Beginn des 16. Jahrhunderts wurde ein mit über 100 Metern Höhe damals zu den höchsten Kirchtürmen Hessens zählender Turm errichtet. Die dazu notwendigen immensen Mittel wurden durch Kredite und Verpfändungen von Ländereien des Stifts aufgebracht. Diese enorme Höhe wurde aus Sicherheitsgründen zunächst im 18. und schließlich im 19. Jahrhundert auf 56 Meter fast halbiert, bevor 1957 die jetzt sichtbare Höhe von gut 63 Metern hergestellt wurde.
Reiche Ausstattung
Der Innenraum lohnt unbedingt einen Besuch. Einem reich geschmückten Chor steht ein eher schlichtes Langhaus gegenüber. Beachtenswert sind im Chor zum einen Figuren an den Kapitellen, die die vier Evangelisten Matthäus, Markus, Lukas und Johannes symbolisieren. Ihnen gesellen sich aber auch 10 weibliche Figuren hinzu, die die fünf törichten und fünf klugen Jungfrauen aus Matthäus 25 darstellen sollen. Dies ist wohl ein Hinweis auf die Stiftsdamen, die sich mit den klugen Jungfrauen identifizierten. Ein aus der Zeit der Errichtung im 13. Jahrhundert stammendes Retabel gehört zu den bedeutendsten Kunstwerken der Kirche. Es handelt sich dabei um einen Altaraufsatz aus Holz, der mit sieben Szenen aus der Passionsgeschichte Jesu bemalt ist. Aus ähnlicher Zeit dürfte auch der noch in romanischem Stil gehaltene Taufstein sein. Ebenso wertvoll ist die auf der Empore platzierte Heinemann-Orgel aus dem 18. Jahrhundert. Das eindruckvollste Gesamtkunstwerk aus neuester Zeit ist die komplette Neuverglasung der Fenster in Querschiff und Langhaus mit Malereien von Prof. Dr. Hans Gottfried von Stockhausen. Die Stiftskirche in Wetter ist die einzige Kirche, die ausschließlich mit Glasmalereien von Prof. Stockhausen ausgestattet ist.
Die Kirche bis heute
Seit der Auflösung des Stiftes ist die Kirche ein Ort für den evangelischen Gottesdienst. Die Zahl der an ihr Dienst tuenden Pfarrer wurde von vier, den sogenannten Vierherren zur Zeit des Stiftes, auf zwei reduziert, wobei ein Pfarrer der Metropolitan oder Oberpfarrer gewesen ist. Diese Hierarchie zwischen den Pfarrern ist Mitte des 20. Jahrhunderts aufgehoben worden. Neben den Gottesdiensten und kirchlichen Festen, zu denen die Kirchengemeinde herzlich einlädt, finden vor allem im Sommer auch überregional bedeutende Konzerte hier statt. Die Stiftskriche ist auch für Gruppen und Einzelpersonen zu besichtigen. Für Informationen steht das Gemeindebüro zur Verfügung (06423/2007). Einen 360-Grad-Panoramarundgang finden Sie im Internet unter der Adresse:
http://kirchspiel-wetter.de/kirchspiel/stiftskirche/kirchenrund gang/panorama-tour/